Mitochondrialer Stress im Sport – Prävention & Interventionsmaßnahmen
Oxidativer Stress, Erschöpfungssyndrom, Chronic Fatigue & Infektanfälligkeit – all das ist nicht nur für den klassischen Patienten relevant. Besonders Athleten sind anfällig für die Folgeerscheinungen von chronischem oxidativen Stress, neigen aus diesem Grund zu rezidivierenden Verletzungen und Entzündungen und haben nicht selten mit Erschöpfung zu kämpfen. Es lohnt sich deshalb ein genauer Blick auf die Relevanz von Mitochondrien, oxidativem Stress und potentiellen Folgen von chronischem Stress im Sport.
Grundlagen: Mitochondrien-Biologie
Bevor eine genauere Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Mitochondrien für den Sport erfolgen kann, muss vorab ein Blick auf die Biologie hinter den bekannten “Kraftwerken” geworfen werden. Grundlegend zu erwähnen ist, dass Mitochondrien ein besonderes Zellorganell darstellen – aus drei Gründen. Erstens besitzen Mitochondrien zwei Membranen. Die Äußere dient primär als Barriere, die innere Membran wird aktiv in der Energiegewinnung genutzt. Der dazwischen vorhandene Intermembranraum ist gemeinsam mit der äußeren Membran verantwortlich für das Membranpotential und die Aufrechterhaltung des Protonengradienten. Die zweite Besonderheit der Mitochondrien ist ihre Fähigkeit, sich unabhängig vom Zellzyklus zu teilen – denn nicht nur besitzen sie eigene Ribosomen. Sie verfügen auch über eine mitochondriale DNA. Zuletzt ist zu erwähnen, dass Mitochondrien nicht nur eine Rolle im Kohlenhydratstoffwechsel spielen, sondern auch Teil des Fett- und Cholesterinstoffwechsels sind und eine Relevanz im Zellzyklus und der Apoptose haben. Tatsächlich haben sie die Fähigkeit, Apoptose zu induzieren und sind deshalb gerade bei der Entstehung von Tumoren mitentscheidend für deren Durchsetzung.
Alles in allem sollte klar sein, weshalb Mitochondrien in praktisch allen Bereichen eine Rolle spielen. So auch im Sport, der dessen Funktionen stark beansprucht.
Wie kommt es zu mitochondrialem Stress im Sport?
Wie bereits erwähnt, wird ein Großteil der Energie von den Mitochondrien bereitgestellt. Im Vergleich zum Nicht-Athleten haben Sportler einen überdurchschnittlich hohen Energieverbrauch und stellen alleine aus dieser Perspektive eine höhere Erwartung an ihre Mitochondrien. Für die Produktion dieser Energie werden Kohlenhydrate oxidiert. Es entstehen Reduktionsäquivalente (NADH/H+ & FADH2), die dann wiederum mittels Sauerstoff erneut oxidiert werden, sodass die entsprechenden Protonen in den Intermembranraum gelangen. Verantwortlich für die tatsächliche Energieproduktion ist dann der aufgebaute Protonengradient, der genutzt wird, um ADP (Adenosindiphosphat) zu phosphorylieren. Im Zuge dieses Prozesses entsteht jedoch nicht nur Energie, sondern auch ROS (radikale Sauerstoffspezies). Diese kommen vor allem durch Elektronenlecks der Komplexe der Atmungskette zustande1 – die Komplexe, die an der inneren Membran sitzen und die erwähnten Reduktionsäquivalente oxidieren.

Abbildung 1: Oxidative Phosphorylierung und Radikalenbildung (adaptiert aus Schniertshauer & Bergemann, 2022)
Anfällig für die Entstehung von übermäßigem mitochondrialem Stress sind also in erster Linie Personen, die ihre Mitochondrien stark beanspruchen, sodass eine große Menge ROS entsteht. Das alleine reicht jedoch nicht aus, um signifikante Schäden hervorzurufen. Weiterhin muss die Neutralisation dieser ROS gestört sein. Es muss beispielsweise ein Unterangebot an Reduktionsäquivalenten (Antioxidantien) vorliegen oder aber eine verringerte Enzymaktivität (beispielsweise aufgrund eines Polymorphismus), sodass sich die ROS ansammeln.
Speziell im Sport kommen weitere Faktoren hinzu, die die Bedeutung des Gleichgewichts zwischen ROS und Antioxidantien unterstreichen. So haben ROS tatsächlich auch positive Einflüsse auf den Athleten. Denn besonders in der Muskulatur entstehen während des Trainings ROS und RONS (Reactive Oxygen and Nitrogen Species), die nicht nur auf die Atmungskette zurückzuführen sind und sich als relevanz für die Adaptation der Muskulatur an die Trainingsintensität zeigen – also für den Trainingserfolg2. Eine übermäßige Zufuhr an Antioxidantien könnte also den Trainingserfolg einschränken. Auf der anderen Seite führt ein stark erhöhtes Level an ROS auch beim Sportler zu Schäden – vor allem an der Muskulatur3. Es kommt schneller zu Fatigue der Muskulatur und einer verringerten Trainingsleistung.
Hinzu kommt der unterschiedliche Effekt eines starken Trainingsreizes je nachdem, ob es sich um einen trainierten Leistungssportler oder einen gelegentlich sporttreibenden Nicht-Sportler handelt. So scheint der untrainierte Körper wesentlich schlechter mit der hohen Radikalenbelastung umgehen zu können – die negativen Auswirkungen der erhöhten ROS-Level dominieren hier oftmals. Im Vergleich dazu wird eine stark erhöhte Toleranz gegenüber ROS und RONS beim Athleten beschrieben3.

Abbildung 2: Unterschiede der ROS-Produktion und Toleranz bei trainierten ggü. nicht-trainierten Individuen (adaptiert aus Clemente-Suárez et al., 2023)
Die Zweischneidigkeit der freien Radikalen, besonders beim Sport, zeigt sich also deutlich und macht eine überlegte und personalisierte Intervention unabdingbar. Ein Blick auf mögliche Folgen von oxidativem Stress macht das ebenso deutlich. Rückwirkend auf die eigentliche Thematik, die mitochondriale Komponente im Sport muss vor einer genaueren Betrachtung der Intervention und Diagnostik zunächst noch der Zusammenhang bzw. der Unterschied von mitochondrialem und oxidativem Stress im Sport geklärt werden
Ist oxidativer Stress mit mitochondrialem Stress gleichzusetzen?
Es wird allgemein angenommen, dass der Großteil an ROS im Rahmen der oxidativen Phosphorylierung innerhalb der Mitochondrien stattfindet. Es ist zudem bekannt, dass das Level an ROS während und nach dem Sport stark erhöht ist4. Zwar wäre die logische Folge, dass diese ROS in den Mitochondrien entstehen. Es zeigt sich jedoch in ex-vivo-Versuchen, dass diese tatsächlich mehr ROS in Ruheatmung als in maximaler Belastung bilden5. Einen Nachweis zur Lage in-vivo gibt es bisher nicht, vor allem bedingt durch die schlechte Nachweisbarkeit des Herkunftsortes eines freien Radikals.

Abbildung 3: Mitochondriale ROS-Bildung in Abhängigkeit vom Substrat und der Aktivität (adaptiert aus Wong et al., 2017)
Es kann also vermutet werden, dass die ROS- und RONS- Bildung während des Sports größtenteils außerhalb der Mitochondrien stattfindet – je mehr es sich um ein anaerobes Training handelt, desto mehr dürfte das der Fall sein. Dann werden die ROS vermutlich im Prozess der anaeroben Energiegewinnung im Zytosol oder während anderer Muskelprozesse gebildet.
Es hat sich also herauskristallisiert, dass ROS nicht immer von Nachteil sind, sondern sie auch entscheidend zur Anpassung an das Training und zur Leistungsfähigkeit beitragen. Es ist aber auch zweifellos so, dass ein Übermaß an ROS und RONS kritisch für die Entstehung einer Vielzahl an chronischen Erkrankungen, Verletzungen sowie Entzündungen ist. Während eine Intervention mit Antioxidantien also vermutlich in erster Linie nicht die Leistungsfähigkeit fördert, kann eine solche Intervention einen positiven Einfluss auf die Regeneration und die langfristige Gesundheit eines Athleten haben6,7.
Um diesen Einfluss messbar zu machen, soll sich zunächst der Diagnostik von mitochondrialen und oxidativen Problematiken gewidmet werden.
Diagnostik von mitochondrialem und oxidativem Stress
Es existieren verschiedene Parameter zur Quantifizierung von oxidativem Stress und mitochondrialen Beeinträchtigungen. Es sollte allerdings stets differenziert werden, was das Ziel dieser Diagnostik ist.
Bei Messungen während und nach dem Sport werden Parameter des oxidativen Stress mit großer Wahrscheinlichkeit erhöht sein – diese sind dann jedoch nur aussagekräftig bezüglich der Entstehung von ROS beim Sport, nicht für die tatsächliche langfristige oxidative Belastung des Körpers. Möchte man beispielsweise Aussagen bezüglich der Regenerationsfähigkeit und der antioxidativen Kapazität eines Sportlers treffen, so kann eine solche Messung Sinn ergeben8. Dann wären Marker für die Lipidperoxidation, Proteincarbonyle oder Urinmarker wie das 8-Desoxyguanosin relevant für die Quantifizierung des oxidativen Stress sowie das Verhältnis von GSH zu GSSG (red. Glutathion vs. ox. Glutathion), der Thiol-Status und andere Parameter zur Messbarkeit der antioxidativen Kapazität. Zusätzlich könnte man Zelluntergangsparameter wie CK (Creatinkinase) oder LDH(-Isoenzyme) mitbetrachten.

Abbildung 4: Relevante Biomarker Post-Exercise zur Evaluation des entstandenen oxidativen Stress (adaptiert aus Pérez-Castillo et al., 2023)
Im Gegensatz zur akuten Messung nach dem Sport, kann auch auf die Grundbelastung eines Sportlers eingegangen werden. Hier sollte wiederum darauf geachtet werden, dass, soweit möglich, das letzte anstrengende Sportereignis mindestens 24 Stunden zurückliegt und die Blutentnahme somit in Ruhe erfolgen kann. Wie oben aufgeführt, könnte auch hier ein solches Panel gewählt werden – oxidative Belastung auf der einen Seite und antioxidative Kapazität auf der anderen Seite.
Zusätzlich kann die Diagnostik in diesem Ruhezustand um eine mitochondriale Komponente erweitert werden. Besteht beispielsweise der Verdacht auf eine mitochondriale Einschränkung, klagt der Athlet beispielsweise über ständige Erschöpfung, schnelle Leistungsabfälle und schlechte Regeneration im Allgemeinen, so kann eine Betrachtung der Mitochondrien und des nitrosativen Stress (RNS=Reactive Nitrogen Species) beispielsweise mithilfe der LDH-Isoenzyme und der M2PK im EDTA-Plasma im Allgemeinen und mit Markern wie mt/n DNA (mitochondriale DNA), dem mitochondrialen Membranpotential, Protonenleck, der Basalatmung sowie maximalen Atmung und der nicht mitochondrialen Atmung (z. B. Bioenergetischer Gesundheitsindex von biovis9) sowie der Laktat/Pyruvat-Ratio der mitochondriale Status evaluiert werden.
Es zeigt sich also, dass derzeit bereits eine Reihe an Biomarkern für die Messung von ROS, ihre Auswirkungen und die mitochondriale Funktion existieren. Auf Basis dieser Grundlage soll nun auf mögliche Interventionen eingegangen werden – immer mit Blick auf die Besonderheiten von ROS, die sich sowohl positiv als auch, besonders in hoher Konzentration, negativ auf den Athleten auswirken können.
Interventionsmöglichkeiten im Sport
Eine sinnvolle Intervention im Sport sollte sich an physiologischen Prozessen orientieren – beispielsweise muss abgewägt werden, ob man bereit ist, eventuelle Akut-Vorteile von ROS im Sinne der Adaptation aufzugeben, um Prozesse wie die Regeneration zu unterstützen. Liegt ein hohes Level an oxidativem Stress bzw. eine mitochondriale Funktionseinschränkung mit entsprechenden Symptomen vor, so hat die Gabe von Antioxidantien klaren Vorrang. Liegt diese Ausgangssituation jedoch nicht vor, könnte eine zu hohe Zufuhr von Antioxidantien nach dem Training den Trainingserfolg möglicherweise einschränken10,11. Die Evidenz ist allerdings niedrig und bezieht sich vor allem auf Einzelstudien mit wenigen Probanden. Ein individueller Ansatz auf Basis der Laborwerte eines jeden Sportlers scheint also am sinnvollsten – mit folgendem Interventionsschema: Bei niedriger oxidativer Last und einer moderaten Trainingsintensität bzw. keiner Steigerung der Intensität kann täglich eine geringe Dosis an potenten Antioxidantien eingenommen werden. Beispielsweise Polyphenole (natürliche Substanzen mit zusätzlicher anti-inflammatorischer Komponente) und Cofaktoren wie Coenzym Q10. Bei hoher Last an ROS und sollte eine höher dosierte Supplementierung von Antioxidantien (fett- und wasserlöslich) verfolgt werden, sodass diese ROS-Last reduziert werden kann und die normale physiologische Antwort wieder greifen kann. Nach Reduktion der ROS-Last kann wieder auf eine niedrigere Dosis umgestellt werden. Bei niedriger oxidativer Last und einer bevorstehenden starken Intensitätssteigerung (bspw. Saisonvorbereitung, Übertraining12) sollte individuell beurteilt werden, ob eine höhere Dosis angemessen ist – abhängig von der subjektiven Leistungsfähigkeit, Energie, bestehenden Muskelschmerzen und Verletzungsanfälligkeit.
Neben einer optimalen Versorgung mit fett- und wasserlöslichen Antioxidantien sollten Athleten weiterhin eine Supplementierung von Aminosäuren, einigen Mineralstoffen, B-Vitaminen, immunmodulatorischen Substanzen und Stoffen des Bindegewebes in Betracht ziehen – je nach individuellem Bedarf, Risikoprofil und Lebensstil. Auf diese zusätzliche Supplementierung soll hier allerdings nicht weiter eingegangen werden (weiterführende Literatur13,14,15,16).
Fazit: Differenzierte Betrachtung von ROS im Sport
Auch wenn viele Aspekte noch der Forschung unterliegen, ist klar, dass ROS im Kontext mit Sport differenziert betrachtet werden sollte. Leistungssportler weisen generell eine höhere Toleranz gegenüber oxidativem Stress auf4. Doch auch hier finden sich häufig chronisch erhöhte Level an oxidativem Stress und eine eingeschränkte mitochondriale Funktion. Eine Basisversorgung mit Antioxidantien ist auf jeden Fall bedeutend. Wichtig ist hierbei eine polyphenolreiche Ernährung sowie eine eventuell niedrig bis moderat dosierte Antioxidantiengabe. Eine Intervention mit höheren Dosen kann im Sport auch eine große Relevanz haben. Jedoch sollte lediglich auf Basis relevanter Biomarker eine solche Supplementierung empfohlen werden.
Zukünftig relevant ist die langfristige Betrachtung von Supplementierung bezogen auf die Verletzungsanfälligkeit, die Leistungsfähigkeit, die allgemeine Gesundheit sowie nach Verletzungen die Zeit zum “Return to sport” und langfristige Folgen. Diese Faktoren haben das Potenzial, von Supplementierung positiv beeinflusst zu werden, wobei schon vereinzelt Evidenz dazu existiert und vor allem die aktuelle praktische Anwendung vielversprechend zu sein scheint.
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